ZEITEN GENDERN SICH

Zugegeben, dieser Spruch stammt nicht von mir, sondern von Pinkstinks. Nichtsdestotrotz fasst er ganz gut zusammen, was auch ich mir für unsere Zeit und für unser Arbeiten als Sprachdienstleister*innen wünsche.

Wer mich kennt, weiß, dass ich sowohl in meinem Alltag als auch in meiner Arbeit mein Bestes gebe, genderneutrale Sprache zu verwenden. Wer selbst dolmetscht, weiß aber auch, dass dafür nicht immer ausreichend Kapazität da ist. Fängt man allerdings an, genderneutrale Sprache immer öfter in Momenten im Alltag und beim Dolmetschen einzubauen, in denen man die nötige Kapazität dafür hat, wird das Gendern erfahrungsgemäß immer mehr zum Automatismus. Aber warum sollte man überhaupt gendern?

Sprache ist Macht

Der Grund, warum wir uns überhaupt mit dem Thema genderneutraler Sprache auseinandersetzen, ist einfach: Sprache ist Macht. In unserem Alltag ist Sprache unser Werkzeug und wir nutzen sie, um unsere Gedanken in Formen zu gießen – aber umgekehrt formt Sprache auch unser Denken und damit unser Handeln (Sapir und Whorf lassen grüßen). Und die Verwendung rein maskuliner Formen in der Sprache, wie zum Beispiel in Form des generischen Maskulinums, schließt Frauen explizit aus. Eine steile These – aber ich kann sie beweisen!

Das generische Maskulinum ist in unserer Sprache zur Norm geworden. Als generisch maskuline Ausdrücke werden solche Ausdrücke bezeichnet, die mithilfe der grammatikalisch rein maskulinen Form alle Geschlechter bezeichnen sollen – Beispiel: „die Dolmetscher“ für eine Gruppe von weiblichen und männlichen Dolmetscher*innen. Damit wird vorausgesetzt, dass Frauen durch die maskuline Bezeichnung mitgemeint werden und sich auch automatisch mitbezeichnet fühlen. Dass das allerdings nicht der Fall ist, belegen zahlreiche Studien.

Studienlage

In einer der ersten Studien zu diesem Thema legten Lisa Irmen und Astrid Köhncke im Jahr 1996 Proband*innen Beispielsätze vor, die ein generisches Maskulinum beinhalteten, und fragten sie anschließend, welches Geschlecht sie hinter den im Text beschriebenen Personen vermuteten. 80% der Proband*innen schlossen aus, dass es sich bei den fraglichen Personen um Frauen handeln könnte.

Elke Heise bat in ihrem Versuch im Jahr 2000 Proband*innen, eine Geschichte weiterzuschreiben, die entweder im generischen Maskulinum (Gruppe 1), einer neutralen Bezeichnung (Gruppe 2), der Binnen-I-Form (Gruppe 3) oder einer Schrägstrich-Form (Gruppe 4) begonnen worden war. Sowohl bei Gruppe 1 als auch bei Gruppe 2 (generisches Maskulinum und neutrale Bezeichnung) wurden die Geschichten signifikant häufiger mit männlichen Charakteren weitergeführt. Bei Gruppe 4 (Schrägstrich) zeigte sich ein Gleichgewicht aus männlichen und weiblichen Charakteren, wohingegen Gruppe 3 (Binnen-I) die Geschichten häufiger mit weiblichen Charakteren fortführte.

Dagmar Stahlberg, Sabine Sczesny und Friederike Braun führten 2002 gleich drei Experimente zu dem Thema durch.

In Experiment 1 baten sie Proband*innen, ihre Lieblingsromanheld*innen, -musiker*innen etc. zu nennen. Dabei unterteilten auch sie die Proband*innen in drei Gruppen, die jeweils unterschiedliche Formen vorgelegt bekamen: das generische Maskulinum (Romanheld), eine neutrale Bezeichnung (Romanfigur) und eine Beidnennung (Romanheldin oder Romanheld). Das Ergebnis: Die beiden Gruppen Beidnennung und neutrale Bezeichnung nannten zweieinhalb Mal häufiger eine weibliche Person als die Gruppe generisches Maskulinum.

In Experiment 2 wurden die Proband*innen gebeten, unabhängig von ihrer persönlichen Präferenz jeweils drei Vertreter*innen aus verschiedenen Bereichen wie z.B. Sport, Politik etc. zu nennen. Hier wurde in die Gruppen generisches Maskulinum, Beidnennung und Binnen-I unterteilt. Und auch hier führte das Binnen-I fast doppelt so häufig zur Nennung weiblicher Vertreterinnen gegenüber dem generischen Maskulinum; die Beidnennung führte immerhin zu einer etwas stärkeren Nennung von Frauen.

In Experiment 3 wurden Proband*innen gefragt, wen sie sich als nächste*n Kanzlerkandidat*in der CDU oder SPD vorstellen könnten, auch hier wieder in unterschiedlichen Formen: im generischen Maskulinum vs. mit Beidnennung. Bei der SPD wurden bei Verwendung der Beidnennung fünf Mal mehr weibliche Kanzlerkandidatinnen genannt als bei Verwendung des generischen Maskulinums. Bei der CDU waren es immerhin doppelt so viele.

2015 führten Dries Vervecken und Bettina Hannover eine Studie mit deutschen und belgischen Grundschulkindern durch. In dieser wurden den Kindern verschiedene Berufsbezeichnungen vorgelegt, zum einen in der rein männlichen und zum anderen in der geschlechtsneutralen Form. Anschließend wurden sie gefragt, wie viel man in dem jeweiligen Beruf wohl verdient, wie schwierig er zu erlernen und auszuführen ist und ob sie sich selbst zutrauen würden, den Beruf auszuüben. Kinder, die der geschlechtsneutralen Bezeichnung ausgesetzt waren, trauten sich viel eher zu, bestimmte Berufe zu ergreifen als Kinder, denen nur die männliche Form genannt wurde. Bei der geschlechtsneutralen Bezeichnung schätzten die Kinder die Berufe außerdem als leichter erlernbar und weniger schwierig ein. Gleichzeitig stuften die Kinder bei Verwendung der geschlechtsneutralen Form die Berufe als weniger wichtig ein und schätzten eine niedrigere Bezahlung.

Und jetzt?

Selbstverständlich lassen sich in allen Studien Kritikpunkte finden. Aber die Tendenz lässt sich trotz allem nicht leugnen: Wird das generische Maskulinum verwendet, werden Frauen weniger assoziiert. Wenn Frauen in der Sprache einen Platz haben wollen, müssen sie also explizit mitgenannt und miteinbezogen werden.

Die Sprache ist mein wichtigstes Berufswerkzeug und ich arbeite tagtäglich mit ihr. Und ich bin Feministin. Ich möchte, dass jedes Geschlecht den gleichen Platz in unserer Gesellschaft hat. Und dafür muss auch jedes Geschlecht den gleichen Platz in unserer Sprache haben. Deshalb gendere ich. Und wenn es geht, dann auch beim Dolmetschen!

Quellen:

Braun, Friederike; Sczesny, Sabine u. Stahlberg, Dagmar (2002): Das generische Maskulinum und die Alternativen. Empirische Studien zur Wirkung generischer Personenbezeichnungen im Deutschen. Germanistische Linguistik 167-168, 77-87.

Heise, Elke (2000): Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. Sprache & Kognition 19, 3-13.

Irmen, Lisa u. Köhncke, Astrid (1996): Zur Psychologie des “generischen” Maskulinums”. Sprache & Kognition 15, 152-166.

Vervecken, Dries u. Hannover, Bettina (2015): Yes I Can! Effects of Gender Fair Job Descriptions on Children’s Perceptions of Job Status, Job Difficulty, and Vocational Self-Efficacy. Social Psychology 46, 76-92.

Pinkstinks: https://pinkstinks.de/ (zuletzt aufgerufen am 06.04.2021).